Sieben Minuten nach Mitternacht

 

Sieben Minuten nach Mitternacht -Studioca
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Eine überwältigende Fantasy-Geschichte des Spaniers Juan Antonio Bayona, der auf die Romanvorlage und dem Drehbuch von Patrick Ness zurückgreift. Ein Glücksgriff , düster und sehr bewegend. Der 13jährige Conor O’Malley, ein stiller, kreativer Außenseiter wird bald seine krebskranke Mutter verlieren. Da wird eines Tages eine uralte Eibe lebendig und hilft ihm. Coming-of-Age-Film – ungewöhnlich und unter die Haut gehend

OT: A Monster Calls

Großbritannien/Spanien/USA/Kanada 2016

Regie: Juan Antonio Bayona

Buch: Patrick Ness

Darsteller: Lewis MacDougall, Felicity Jones, Sigourney Weaver, Toby Kebell, Ben Moor, James Melville, Oliver Steer

Länge: 108 Minuten

Verleih: Studiocanal

Kinostart: 4. Mai 2017

Die nordenglische Landschaft wirkt ruhig und beschaulich, aber ist im Untergrund dagegen alles andere als das. In diesen Gegensatz zwischen Idylle und Urgewalt rutscht der kleine Conor O’Malley (Lewis MacDougall). Er weiß es nur noch nicht. Der 13jährige Schüler ist ein stiller, kreativer Junge, der unter Mobbing seiner Mitschüler leidet, dessen Vater in Kalifornien lebt, und der bald seine Mutter (Felicity Jones), bei der er noch wohnt, verlieren wird. Sie ist unheilbar an Krebs erkrankt. Conor muss zu seiner strengen Großmutter (Sigourney Weaver) ziehen, nachdem seine Mutter im Krankenhaus liegt.

Plötzlich wird Conors Leben durch ein einschneidendes Erlebnis durcheinander gewirbelt.

Sieben Minuten nach Mitternacht – Studiocanal

Eine uralte Eibe wird lebendig. Jetzt bewegt sich die Geschichte in ein Fantasy-Märchen, das kann gutgehen, oder auch nicht. Hier können wir uns auf ein aufregendes, packendes und unter die Haut gehendes Erlebnis einlassen. Es lohnt sich. Besonders auf einer großen Leinwand.

Alles berstet, kracht und brennt, wenn das Baum-Monster auf Conors Fenster zukommt. Die Originalstimme stammt übrigens von Liam Neeson. Conor fragt ihn, was er eigentlich von ihm wolle. Anders herum, antwortet die Eibe. Der Junge will etwas von ihm. Nämlich drei Geschichten, jeden Tag eine, Geschichten vom Leben und wie man damit zurecht kommt. Die vierte Geschichte muss Conor erzählen – und zwar die Wahrheit.

Lehrreiche Parabeln sind das – Coming-of-Age auf gänzlich andere Art. Conor auf einer großen emotionalen Achterbahn, ständig mit seinen Ängsten und seiner Verzweiflung konfrontiert – aber dem eigenen Selbst immer näher kommend. Die alte Eibe – längst ein vertrauter Freund – gibt ihm den nötigen Halt, um seinen inneren Frieden zu erreichen: Endlich loszulassen oder die Versöhnung mit dem unausweichlichen Tod anzunehmen.

Herzzerreißend und fesselnd wird dies erzählt. Sehenswert.

Heinz-Jürgen Rippert

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Zu guter Letzt

Zu guter Letzt – Tobis Film

Shirley-McLaine-Fans und Verehrer dürften sich freuen. Die große Actrice zieht es wieder einmal auf die Leinwand. Und das dürfte das einzig Positive sein, das „Zu guter Letzt“ zu Gute kommt. Das Muster der Dramaturgie wird schnell deutlich. Es ist wie ein Spaziergang am Meer, die Wassertemperatur ist angenehm, aber es ist sehr flach. Tiefgang ist bedauerlicherweise weit und breit nicht vorhanden. Mark Pellingtons („Arlington Road“) neues Werk tut zumindest niemandem weh. Nette Unterhaltung für die derzeitigen kühlen Abende

OT: The last word

USA 2017

Regie: Mark Pellington

Buch: Stuart Ross Fink

Darsteller: Shirley McLaine, Amanda Seyfried, Anne Heche, Thomas Sadoski, Philip Baker Hall, Tom Everett Scott, Ann Jewel Lee Dixon, Joel Murray

Länge: 108 Minuten

Verleih: Tobis Film

Kinostart: 13. April 2017

Von alten Männern, die misanthropisch geworden einsam in ihrer Hütte wohnen, ist schon oft genug erzählt worden. Irgendwann öffnet sich doch sein Herz. Also kein schlechter Mensch. Dieser Fisch ist also längst gelutscht, wie man so schön im Norden sagt.

Eine Frau für solch eine Rolle besetzen, ist demnach keine schlechte Idee. Filme dieser Art sind noch eher eine Rarität. Und Shirley McLaine in der Hauptrolle – da kann eigentlich nichts schiefgehen. So war das Stück geplant.

Zu guter Letzt – Tobis Film

Doch herausgekommen ist außer dem guten Willen – nichts Mitreißendes, keine innere Spannung, Übertreibungen, abseitige Dialoge, nur ab und zu ein Highlight und die Vergeblichkeit von Amanda Seyfried, gegen ihre charismatische Partnerin Boden gut zu machen.

McLaine verkörpert eine ehemalige, erfolgreiche Geschäftsfrau, die eine Werbeagentur betrieb. Jetzt ist Harriet Lauler gealtert, alleine lebend, ein Biest ohnegleichen, das noch zu ihren Lebzeiten ihren Nachruf fertig haben will. Angemessen versteht sich. Einfach der optimale Nachruf. Ihr Problem: Niemand ist bereit, etwas positives beizusteuern. Sogar ihre erwachsene Tochter Elizabeth (Anne Heche) nicht. Keiner, auch der Gärtner nicht. Also engagiert sie die junge Journalistin Anne (Amanda Seyfried) dafür. Die etwas verzagte Nachwuchs-Autorin hat natürlich auch nichts zu lachen.

Jetzt schleicht sich das Wunder ein. Es muss ja irgendwie kommen. Harriet wandelt sich allmählich, sukzessive von der verbalen Giftspritze in eine umgängliche Frau, die sich für ein kleines, afroamerikanisches Mädchen einsetzt und einen Job als DJane für einen kleinen Soulsender annimmt – natürlich ohne Bezahlung. Musikbegeisterte, die ein paar Dollar brauchen, haben das Nachsehen.

Die positiven Wendungen gegen Schluss wirken aufgesetzt und unglaubwürdig. Einzig Fans von analogen Plattenspielern werden ihre Freude haben. Da weiß man, was man hat.

Heinz-Jürgen Rippert

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Gimme Danger

Gimme Danger – Studiocanal

In der internationalen Rock-Szene gibt es nicht mehr viele Musiker, die bis jetzt überlebt haben. Ein gewisser James Osterberg gehört dazu. Der Name wird vielleicht nicht jedem etwas sagen – dagegen der Künstlername Iggy Pop schon etwas mehr. 1967 sorgte das musikalische Enfent Terrible für den grossen Knall – die Geburtsstunde des Punk. Jim Jarmusch, Liebling der Independent-Filmfans, hat diesem, inzwischen 70jährigen Getriebenen, ein filmisches Denkmal gesetzt

USA 2016

Regie: Jim Jarmusch

Mit: James Osterberg alias Iggy Pop, Ron Asheton, Scott Asheton, James Williamson, Steve Mackay, Mike Watt, Kathy Asheton, Danny Fields

Länge: 108 Minuten

Verleih: Studiocanal

Kinostart: 27. April 2017

Die Beiden kennen sich schon lange. Iggy Pop hat bereits zwei Kurzauftritte in Jarmuschs „Coffee and Cigarettes“ und „Dead Man“ absolviert. Nun wird er in dem Doku-Projekt „Gimme Danger“ porträtiert. Das ist als Gespräch mit eingebauten Konzert-, privaten Mitschnitten und Interviews konzipiert.

Gimme Danger – Studiocanal

Iggy Pop kann jovial plaudern, mit seiner recht knarzigen Stimme unterhalten. Langweilig ist das nicht, es wirkt gelassen. Besonders weil er so viele Anekdoten kennt. Der Mann aus Michigan, in einer Wohnwagensiedlung groß geworden, hat schon früh für Unruhe in der Umgebung gesorgt – mit seinem Schlagzeug.

Später orientiert er sich in Chicago an den großen Blues-Virtuosen. Alles für seine musikalische Basis, Neugierde und das entsprechende Feeling sind wichtig gewesen. Aber Neugierde und der Drang, etwas vollkommen neues zu kreieren, führen zu einer Haltung, die noch keiner wahrgenommen hat. Mit seiner neuen Band den „Stooges“ verwirrt und stimuliert er das Publikum.

Gimme Danger – Studiocanal

Der nackte Oberkörper wird zum Markenzeichen des Herrn Osterberg, den kann er winden, biegen, wie eine Schlange. Er hüpft, tanzt ganz wild und stürzt sich von der Bühne in die Menge. Entsprechend wild und laut ist auch die Rockmusik von den Stooges. Diese Art ist als revolutionär zu bezeichnen, für die 60er Jahre jedenfalls. Dazu kommt vermehrt der Drogenkonsum – alles was es so gibt. Das führt zu zeitweiligen Trennungen der Band.

Aber Geld ist für sie gar nicht so wichtig gewesen. Davon erzählt der mittlerweile alte Herr gelassen und entspannt. Manche Alben haben sich auch ganz gut verkauft. Mit seinen Kollegen hat er immer recht gut zusammenarbeiten können. Er mag es, im Team zu arbeiten. Und beeinflusst haben sie schließlich die ganze Punkbewegung.

Ein interessantes, lebendiges Zeitdokument ist Jarmuschs Film geworden. Auf der einen Seite die Hippie-Musik – auf der anderen Seite die harten Gegenschläge der Stooges. Nur vereinnahmen will sich James Osterberg alias Iggy Pop von niemandem. Trotzdem sind sie irgendwie Kommunisten gewesen, betont er, zumindest einige Jahre. Sie hätten immerhin damals alles miteinander geteilt.

Heinz-Jürgen Rippert

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The Founder

The Founder – Splendid Film

John Lee Hancock ist bekannt für seine Aufsteiger-Geschichten im US-Kapitalismus. In seinem neuen Werk erzählt er vom rasanten Erfolg des Hamburger-Grillers McDonald’s in den 50er-Jahren. Mit dem Unterschied allerdings, dass die Kehrseite des sogenannten amerikanischen Traums nicht außer acht gelassen wird und dies mit einer satten Portion Sarkasmus. Der rastlose Handlungsreisende Ray Kroc mit dem unstillbaren Hunger nach Geld und Erfolg wird von Michael Keaton verkörpert

USA 2016

Regie: John Lee Hancock

Buch: Robert D. Siegel

Darsteller: Michael Keaton, Laura Dern, John Carroll Lynch, Nick Offerman, Patrick Wilson, Linda Cardellini, B. J. Novak, Katie Kneeland, Andrew Benator

Länge: 115 Minuten

Verleih: Splendid Film

Kinostart: 20. April 2017

Der passende Film zum Amtsantritt von Donald Trump. Dafür musste Harvey Weinstein die US-Premiere gleich viermal verschieben.

The Founder – Splendid Film

Es geht schließlich um einen ökonomischen Leuchtturm des American Way of Life, um den Hamburger-Griller McDonald’s. In der Tat heißen die Hamburger-System-Erfinder Dick und Mac McDonald, die im kalifornischen San Bernadino ein hocheffizientes Bratsystem entwickelt haben. Zwei Tüftler, die ein beinahe industrielles Zubereitungsverfahren auf wenige Quadratmetern konzentrieren. Deshalb kann der Kunde in kürzester Zeit seinen eingepackten Hamburger mitsamt Pommes Frites und Softdrinks genießen. Die Qualität muss dabei immer gewährleistet sein. Der Begriff Fast Food ist geboren. Und die Kunden sind begeistert, haben sie doch bis dahin Barbeque oder andere Spezialitäten nur mit langen Wartezeiten konsumieren können. Hier dauert das 30 Sekunden pro Kunde.

Wir befinden uns mit den fünfziger Jahren in der Hochphase des Nachkriegskapitalismus. Die steigende Gier nach mehr Geld, Erfolg und Konsum treibt Menschen um. Einer dieser Umtriebigen ist der Milchshake-Mixer-Vertreter Ray Kroc. Einer der ständig grinst, was auf Dauer nervt. Aber einer, der trotz seiner Rührigkeit keinen Erfolg mit den Mixern hat.

The Founder – Splendid Film

Plötzlich wird er hellwach, eine Bestellung von gleich mehreren Geräten erreicht ihn aus Kalifornien. Nichts wie hin, denkt Ray Kroc und staunt nicht schlecht über den Andrang am Schnellimbiss der McDonalds Brüder. Fiebrigkeit überall, bei den Machern und den Konsumenten. Und ausgeklügelte Effizienz. Da fehlt noch etwas Wichtiges – der perfekt gemanagte Vertrieb. Kroc hat schon eine Idee: Franchise. Damit kann man national wie international expandieren. Nur gehen Dick und Mac McDonald Risiken lieber aus dem Weg, zu bodenständig sind sie und zu bedächtig. Das lässt Ray Kroc die Franchising-Rechte an sich zu reißen und für sich zu sichern. Endlich steht der ganz große Coup vor der Tür, dem er sein Leben hinterher gerannt ist.

Wenn man vielleicht anfangs noch ein wenig Sympathie für den strampelnden Handels-Vertreter übrig hat, so ändert sich das nun mit der Verwandlung in einen skrupellosen, zwielichtigen Scharlatan. Die McDonalds-Brüder steigen ab zur Bedeutungslosigkeit. Wenigstens ihr Name bleibt noch über dem weltumspannenden Fast-Food-Imperium.

Der Gipfel der Großmannssucht ist die Titulierung „The Founder“, den Ray Kroc sich gegeben hat. Gründer ist nicht er, sondern nach wie vor Dick und Mac McDonald. Der Sarkasmus des Films ist eben das Sprachmittel, das den brutalen Wirtschaftsdarwinismus des amerikanischen – expandiere oder verrecke – Systems am besten pointieren kann.

Heinz-Jürgen Rippert

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Ein Dorf sieht schwarz

Ein Dorf sieht schwarz – Prokino

Sympathische Culture-Clash-Komödie aus Nordfrankreich. Ein kleines Dorf sucht in den 70er Jahren verzweifelt einen Arzt. Seyolo Zantoko, ein frischgebackener Arzt aus Zaire, der in Lille studiert hatte, erklärt sich bereit dazu. Wenn die verbohrt-konservativen Einwohner nur nicht wären. Der tägliche Rassismus ist das größte Hindernis für eine breite Akzeptanz. Wie die afrikanische Familie die Alltagstücken allmählich überwinden kann, erzählt der Film auf humorvolle Art, kurzweilig, aber leider immer noch aktuell und auf tatsächlichen Ereignissen beruhend

OT: Bienvenue a Marly-Gomont

Frankreich 2016

Regie: Julien Rambaldi

Buch: Benoît Graffin, Julien Rambaldi

Darsteller: Marc Zinga, Aissa Maiga, Bayron Lebli, Médina Diarra, Rufus, Jonathan Lambert

Länge: 96 Minuten

Verleih: Prokino

Kinostart: 20. April 2017

Seyolo Zantoko hat sein Medizin-Examen bestanden und sucht eine Praxis in Frankreich. Das Angebot, in seiner Heimat Zaire als Leibarzt für Mobutu zu arbeiten, lehnt er entrüstet ab, zu korrupt sei der Präsident und als grausamer Diktator verschrien. Da bekommt er auf der Abschlussfeier an der Uni Lille von einem Dorfbürgermeister die Offerte, als Landarzt im Norden Frankreichs zu arbeiten.

Ein Dorf sieht schwarz – Prokino

Besser als nichts, denkt er und sagt zu. Seiner Familie, die immer noch in Zaire wohnt, erzählt Seyolo, Paris würde gar nicht so weit entfernt sein. Sie sollen ja nachkommen, und seine Frau denkt an ein mondänes Leben in der französischen Hauptstadt.

Das Problem: Die Dorfbewohner haben noch nie einen Schwarzen gesehen. Außerdem gibt es dort mehr Kühe als Menschen. Dem Bürgermeister ist das egal, Hauptsache, er kann seinen Mitbürgern einen leibhaftigen Doktor präsentieren. Natürlich hätte er sonst bei der baldigen Bürgermeisterwahl keine Chance mehr.

Ein Dorf sieht schwarz – Prokino

Ein weiteres Problem: Seyolos Familie erlebt den totalen Culture-Clash. Seine Frau und die beiden Kinder kommen bei strömenden Regen an. Die graue Tristesse schockiert. Und der Eiffelturm ist auch nicht in der Ferne zu sehen. Die ganze Malaise wird schließlich von der Fremdenfeindlichkeit, dem Rassismus getoppt.

Da sind zum einen die Vorurteile, Mißverständnisse, die Intoleranz, Klischees und Intrigen mit denen Regisseur Julien Rambaldi spielt, getreu der Rezepte für abendfüllende Komödien, die in den letzten Jahren auch hierzulande Kasse gemacht haben. Alles etwas süß angerührt und schließlich sind die sturen und fremdenfeindlichen Bauern doch auch mit einem gutmütigen Herzen ausgestattet.

Es ist natürlich positiv, auf Humanismus zu pochen und dem eine Chance zu geben. Wenn man die Welt real so inszenieren könnte. Die Handlung dieses Films beruht tatsächlich auf den Erinnerungen von Seyolo Zantokos Sohn Kamini, der sich als Rapper einen Namen gemacht hat.

Aber schaut man heute auf Wahlergebnisse, insbesondere bei den letzten Regionalwahlen in Nordfrankreich, so wird einem bei 40 Prozent für den rechtsextremen Front National doch etwas anders zumute.

Heinz-Jürgen Rippert

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Verleugnung

Verleugnung – SquareOne/Universum

Der britische Journalist David Irving gehört zu den schlimmsten Holocaust-Leugnern, Geschichtsklitterern, Rassisten und Antisemiten. Bei Neonazis im In- und Ausland nach wie vor als Redner und Autor willkommen, „Fake News“ lassen grüßen, versuchte er Ende der 90er Jahre die US-Historikerin Deborah E. Lipstadt in einem Verleumdungsprozess zu diskreditieren. Der Justizfilm von Mick Jackson hält sich überwiegend an den Prozessverlauf und produziert daraus die Spannung. Mit Rachel Weisz, Timothy Spall und Tom Wilkinson erstklassig besetzt

OT: Denial

Großbritannien/USA 2016

Regie: Mick Jackson

Buch: David Hare

Darsteller: Rachel Weisz, Timothy Spall, Tom Wilkinson, Andrew Scott, Jack Lowden, Caren Pistorius, Alex Jennings, Harriet Walter

Länge: 110 Minuten

Verleih: SquareOne/Universum

Kinostart: 13. April 2017

Deborah E. Lipstadt ist Professorin für Jüdische Zeitgeschichte an der Emory University in Atlanta/Georgia und hat in ihrer Veröffentlichung „Denying the Holocaust“ David Irving als authentischen Holocaust-Leugner bezeichnet. 1994, während einer Vorlesung von Lipstadt, die sich mit der Leugnung des Holocaust beschäftigt, hat sie ihre Abneigung gegen jegliche Gespräche mit solchen Leugnern zum Ausdruck gebracht. Da erhob sich ein Mann im Auditorium, hält ein Bündel Geldscheine in der Hand und stellt als David Irving vor. Er würde demjenigen, der Beweise für Vernichtung in Gaskammern liefert, 1000 Dollar überreichen.

Verleugnung – SquareOne/Universum

Die Historikerin lehnt angewidert jegliche verbale Auseinandersetzung ab und bekommt eine dreiste Verleumdungsklage von Irving an den Hals, der Penguin Verlag mit Hauptsitz London gleich mit. Da er die Klage in Großbritannien einreicht, läuft der Prozess nach britischen Verfahrensrecht ab. Deshalb ist Deborah Lipstadt beweispflichtig und nicht umgekehrt, wie es unter anderem in den Vereinigten Staaten üblich ist. Sie muss demnach beweisen, dass Auschwitz und die Shoah Fakten sind. Eine große Demütigung für Lipstadt. Und ein Prozess, der sich über vier Jahre hinzieht – von 1996 bis 2000.

Anmerkung dazu: Das Aufeinandertreffen von Irving und Lipstadt in Atlanta ist aus dramaturgischen Gründen rein fiktiv von Autor David Hare in die Handlung eingebaut worden. Die tatsächliche Klage beruht alleine auf der Veröffentlichung und der darin enthaltenen Einschätzung Irvings durch die Wissenschaftlerin.

Verleugnung – SquareOne/Universum

Der Film dreht sich hauptsächlich um die Gerichtsverhandlung. Ein Justizdrama also, vor allem eines mit einem gänzlich anderen System. Dort arbeiten zwei Anwaltsgruppen getrennt voneinander – die beratenden und die prozessführenden Anwälte. Deborah Lipstadt soll eigentlich gar nicht auftreten, KZ-Überlebende auch nicht. Der leitende prozessführende Anwalt, Richard Rampton (Tom Wilkinson) genießt damals den Ruf des führenden Spezialisten für Verleumdungsklagen. Er sieht sich gezwungen, nachzuweisen, dass tatsächlich Gas in Auschwitz verwendet wurde. Irving (Timothy Spall) tönte immer, „No Holes, no Holocaust“. Er hat übrigens auf einen Anwalt verzichtet und den Prozess verloren.

Die Filmemacher um Mick Jackson haben für die Dialoge akribisch die Prozessakten ausgewertet. Den Spannungsbogen bauten sie dadurch auf. Und sie vertrauten auf das gute Timing der Darsteller. Timothy Spall ist eine gute Wahl für den mit allen Wassern gewaschenen Pseudo-Historiker David Irving, der sich als das eigentliche Opfer stilisiert. Tom Wilkinson hat durch seine besonnene, aber auch derbe Art die notwendigen Impulse als Richard Rampton geben können. Und Rachel Weisz als lebhafte, intellektuelle Deborah E. Lipstadt.

Wenn sie uns doch die Protagonisten vielschichtiger präsentiert hätten. Über sie selbst erfahren wir leider kaum etwas. Dennoch wird uns klar, was passiert wäre, wenn Lipstadt verloren hätte. Da ist das Urteil, besonders in Zeiten der Faktenverdreher, und -leugner, sehr bedeutsam. Historische Wahrheiten kann man nicht unter den Teppich kehren. Sie wirken wie ein Spiegel, in dem man sich immer wieder sieht.

Heinz-Jürgen Rippert

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Una und Ray

Una und Ray – Weltkino

Ein Mädchen, 13 Jahre alt, und eine junge Frau, 15 Jahre später. Ein und dieselbe Person. Und ein Mann, über 20 Jahre älter. Sie sehen sich eines Tages wieder und nichts ist wie es vorher war. Es beginnt ein zweifelhafter Versuch, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Geht es um Missbrauch oder nicht? Wann sind die Grenzen der Moral überschritten? Der Zuschauer gerät langsam ins Zweifeln. Ihm wird es auch nicht leicht gemacht, das Drama einzuordnen.

OT: Una

Kanada/Großbritannien/USA 2016

Regie: Benedict Andrews

Buch: David Harrower nach seinem Theaterstück „Blackbird“

Darsteller: Rooney Mara, Ben Mendelsohn, Riz Ahmed, Tara Fitzgerald, Natasha Little, Isobelle Molloy, Clarán McMenamin

Länge: 94 Minuten

Verleih: Weltkino

Kinostart: 30. März 2017

Una, eine junge Frau um die Anfang 30 (Rooney Mara), wohnt immer noch bei ihrer Mutter, hat keine feste Beziehung, geht ab und zu mal tanzen und lebt ihre Sexualität allerhöchstens mal bei einem Quickie auf der Toilette aus. Aber da ist noch etwas, da quält sie noch etwas. Ihre Unruhe treibt sie eines Tages zum Aufbruch, ohne etwas zu sagen oder zu hinterlassen.

Una und Ray – Weltkino

Sie trifft in einer Fabrik überraschend auf einen Mann in den Fünfzigern, der sich heute Peter nennt, eigentlich Ray hieß (Ben Mendelsohn) und als leitender Angestellter tätig ist. Peter ist verunsichert, die Fassade fängt an zu brökeln. Denn vor 15 Jahren sind sie Nachbarn gewesen und in ein Tabu geschlittert, das sich auf das ganze Leben auswirken kann. Ray hat sie verführt, oder ist er verführt worden? Soll man Sex mit Minderjährigen dazu sagen, vielleicht doch eine Liebesbeziehung? Gefühle scheinen durchaus eine Rolle zu spielen, oder doch nicht?

Una und Ray – Weltkino

Zumindest haben sie ihre Träume gehabt, machten sich auf den Weg, eine Flucht ins Nirgendwo. Die für Una zumindest in einem Motel endet. Ray hat sie dort sitzengelassen. Welch ein Leid für ein 13-jähriges Mädchen. Ihre Gefühle konnte sie bis heute nicht ordnen und Ray ist verhaftet worden mit anschließender vierjähriger Gefängnisstrafe.

Dann hat er sich einen anderen Namen gegeben, eine neue berufliche Existenz aufgebaut und geheiratet, ist Vater geworden. Und die Familie weiß nichts von seiner Vergangenheit, die Ray nun wieder einholt. Seine Mitarbeiter in der Fabrik dürfen ebenfalls nichts davon wissen. Die Auseinandersetzung zwischen Una und Ray muss aus diesem Grund jeweils in andere Bereiche der Firma verlegt werden, die wie ein großes Labyrinth anmutet, verwirrend wie die emotionale Situation der Protagonisten. Und als Metapher für Rays Versteck.

Aus dem er nun raus muss, genau wie Una aus der Häuslichkeit ihrer Kindheit in der heimischen Sackgasse, in der sie 30 Jahre wohnte. Beide müssen sich der Vergangenheit stellen. Im Gegensatz zur Theatervorlage, einem reinen Kammerspiel, hat der australische Regisseur Benedict Andrews sein filmisches Psychodrama immer wieder durch kurze Rückblenden erweitert, um den Kern besser herausarbeiten zu können. Ein Vorteil, den er geschickt zu nutzen wußte.

Heinz-Jürgen Rippert

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Der legendäre Kameramann Michael Ballhaus ist tot

Nachruf

Er gilt als Erfinder des „Ballhaus Kreisels“, führte eine bewegliche, lebendige Kameraufnahmetechnik in die Filmkunst ein, drehte mit Rainer Werner Fassbinder, Peter Lilienthal, John Sayles, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und war einer der wenigen Deutschen, die sich in Hollywood etablieren und Karriere machen konnten. Nun ist der Filmkünstler, wie er sich selbst bezeichnete, im Alter von 81 Jahren nach kurzer Krankheit am 12. April in Berlin gestorben

Michael Ballhaus – Copyright Martin Kraft – gestaltungsKraft

Seine fantastische Bildsprache hat Michael Ballhaus im Laufe seiner Karriere entwickelt und sah sich deshalb mehr als Filmkünstler, denn als Kameramann. Für ihn war die Regie der Bild- und Lichtführung das gestaltende Element der Filmkunst schlechthin. Deshalb konnte er sich als das „fliegende Auge“ einen weltweit geachteten Namen machen.

Das kam nicht von ungefähr. Denn die Basis seiner Kenntnisse, Erfahrungen, visuellen Einschätzungen und Ideen hat Ballhaus schon früh und solide geschaffen. Seine Eltern hatten in Franken ein Theater und agierten als Bühnenschauspieler. Eine Chance für den damaligen Schüler, sich als Bühnenfotograf auszuprobieren.

Nach dem Abitur folgte eine Fotografenausbildung und dann der Sprung zum Südwestfunk, wo er zum Chefkameramann avancierte. Zur Filmbranche war es dadurch nicht mehr weit. Erste Filme mit Hark Bohm, Peter Lilienthal und schließlich 15 Streifen mit Rainer Werner Fassbinder. In „Martha“ probierte Ballhaus zum ersten Mal den Kreisel mit der Kamera um 360 Grad aus. Diese Bewegungen um Personen herum, mit ihnen oder über der Szenerie faszinierten ihn und er perfektionierte die Vorgänge nach und nach. Auch das Licht prägt und gestaltet die Geschichte, die der Künstler – nach seiner Meinung – vorher schon im Kopf haben sollte.

Die fabelhaften Baker Boys – Michelle Pfeiffer, Jeff Bridges – Tobis Film

In den achtziger Jahren ging Michael Ballhaus in die USA und lernte dort die Größen des Filmgeschäfts kennen: Martin Scorsese, Francis Ford Coppola oder Robert Redford. Aus den gemeinsamen Projekten sind Filmjuwelen entstanden. Etwa „Quiz Show“ mit Redford, „Outbreak“ mit Wolfgang Petersen, „Die Zeit nach Mitternacht“, „Die Farbe des Geldes“, „Good Fellas“, „Zeit der Unschuld“, „Gangs of New New York“, „Departed – Unter Feinden“ mit Scorsese (insgesamt 7 Filme), „Bram Stoker‘ s Dracula“ mit Coppola. Aber auch Independent-Produktionen wie „Die fabelhaften Baker Boys“ mit Steve Kloves, die er zu einem visuellen Meisterwerk gestaltete. Oder die „Mambo Kings“ mit Arne Glimcher“. Deshalb konnte er sich unter der Berufsbezeichnung Bildregisseur ein internationales Renommee erschaffen.

Ein Beispiel für den visuellen Sog, den eine perfekte Bildinszenierung hervorbringt – viele Zuschauer werden das vielleicht noch im Kopf haben – ist der Kamerakreisel bei der Piano-Szene mit Michelle Pfeiffer und Jeff Bridges in „Die fabelhaften Baker-Boys“. Sie singt „Makin‘ Whoopee“, räkelt sich im langen, hochgeschlitzten, roten Kleid auf dem Flügel, die Kamera fährt langsam um sie und den Pianisten herum, das Licht mal klar, mal rauchig, gegen Ende des Songs steigt sie neben Bridges herunter und lehnt sich mit dem Rücken an ihn. Da knistert was ganz intensiv, die Bildinszenierung läßt einen das spüren. Der gesungene Klassiker bildet das I-Tüpfelchen.

Für diesen Film um zwei Barpianisten, gab es eine Oscar-Nominierung für Ballhaus, eine von dreien. „Nachrichtenfieber“ und „Gangs of New York“ waren die beiden anderen. 2007 hat er dann – als erster Deutscher – den Preis für sein Lebenswerk von der American Society of Cinematographers erhalten.

Der grüne Star, sein Damoklesschwert, fiel allmählich auf ihn herab. Die totale Erblindung drohte. Der Filmkünstler hatte allerdings noch einige Zeit, um dem Nachwuchs in den Filmstudiengängen, etwa in Hamburg, handwerkliches Können beizubringen. Nebenbei hat er sich mit seinem „Ballhaus-Projekt“ für den Klimaschutz engagiert.

Der Grandseigneur der internationalen Filmbranche war ein liebenswürdiger, charmanter Mensch – der Autor hat ihn selbst einmal bei einer Veranstaltung in Hamburg erlebt – der in seiner ruhigen Art vor gar nicht langer Zeit äußerte: „Alles hat seine Zeit. Und diese Zeit ist vorbei. Ich traure dieser Zeit nicht mehr nach. …“.

Heinz-Jürgen Rippert

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A United Kingdom

A United Kingdom – Alamode Film Verleih

London 1947. Eine englische Büroangestellte lernt einen afrikanischen Studenten kennen. Der Beginn einer großen Liebe. Und gleichzeitig der Anfang eines Kampfes um diese Liebe und nicht nur darum. Der junge Mann stammt nämlich aus Bechuanaland (dem heutigen Botswana) und soll dort den Thron einnehmen. Das kleine Land im südlichen Afrika ist britisches Protektorat, wo die Apartheid genauso herrscht wie im angrenzenden Südafrika. Diplomatische Querelen sind vorprogrammiert. Es geht schließlich um Rohstoffe – und um eine wahre, fast märchenhafte Geschichte

Großbritannien/Tschechien 2016

Regie: Amma Asante

Buch: Guy Hibbert

Darsteller: David Oyelowo, Rosamund Pike, Jack Davenport, Tom Felton, Terry Pheto, Laura Carmichael, Jessica Oyelowo

Länge: 111 Minuten

Verleih: Alamode Film

Kinostart: 30. März 2017

Es beginnt mit einem Tanzabend. Swing wird gespielt und die Londoner Büroangestellte Ruth Williams (Rosamund Pike) lernt den Jura-Studenten Seretse Khama (David Oyelowo) kennen. Eigentlich wollte Ruth nur ihre Schwester Muriel (Laura Carmichael) zu dieser Veranstaltung begleiten und ist dabei ihrer großen Liebe über den Weg gelaufen, dem zukünftigen Regenten von Bechuanaland, dem heutigen Botswana.

A United Kingdom – Alamode Film Verleih

Die Hindernisse, die auf Ruth und Seretse zukommen, haben beide nicht absehen können. Rassismus im Londoner Alltag mit Pöbeleien und Beleidigungen. Das kommt einem doch irgendwie aktuell vor. Wir befinden uns aber hier im auslaufenden vierten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts und das British Empire beginnt langsam zu bröckeln, anders ausgedrückt, Großbritannien schwimmen allmählich die Felle weg. Die Weltlage ändert sich und die Regierung wertet es als diplomatische Provokation, wenn sich eine gemischt-rassige Ehe von dieser Tragweite anbahnt. Und Ruths Vater bricht mit seiner Tochter.

Denn gerade ein Jahr vorher, 1948, ist das Apartheid-System im benachbarten Südafrika installiert worden. Großbritannien ist nämlich von den dortigen Bodenschätzen abhängig. Bechuanaland hat den Status eines britischen Protektorates. Diplomatische Querelen bis hin zu Intrigen auf höchster Ebene sind also vorprogrammiert. Ruth und Seretse bekommen das bitter zu spüren, mit allen Mitteln versuchen die arroganten Machtinhaber, ihre Ziele durchzusetzen.

A United Kingdom – Alamode Film Verleih

Umgekehrt ist die Situation auch nicht besser. Das Paar wird feindselig in Seretses Heimat empfangen und sein einflussreicher Onkel Tshekedi Khama versucht die geplante Thronfolge zu hintertreiben. Es ist dem feinfühligen Geschick von Ruth zu verdanken, dass sie den umgekehrten Rassenhass dort allmählich abbauen und eine Akzeptanz bei der Bevölkerung aufbauen kann. Auf Privilegien wollen sie sogar verzichten. Damit gewinnt ihr Mann ebenfalls den Respekt seiner Landsleute. Sie unterstützen ihn bei der Abstimmung über die Zukunft – sehr zum Ärger seines Onkels, der sich nun zurückzieht.

Die Briten versuchen das Paar zu trennen. Seretse wird nach London beordert, wo man ihm eröffnet, seine Heimat fünf Jahre nicht mehr betreten zu dürfen. Er geht an die Öffentlichkeit und gewinnt einen Teil der Abgeordneten und kann Bechuanaland sogar die Schürfrechte für eventuelle Bodenschätze sichern und darf zudem für eine Woche nach Hause fliegen. Dort gelingt es ihm, sich wieder mit seinem Onkel versöhnen, weil er auf die Thronfolge verzichtet, und dadurch im Land bleiben kann. Ministerpräsident wird er dafür künftig sein und mit Ruth vier Kinder haben.

Klingt wie ein Märchen, ist aber keins. Der afrikanisch-stämmigen Engländerin Amma Asante („Dido Elizabeth Belle“) ist es vielmehr gelungen, eine historische Begebenheit mit einer tatsächlichen privaten Ebene zu verbinden. Konventionell gestrickt, solide gemacht, aber von unprätentiösen und hervorragenden Schauspielern wie David Oyelowo und Rosamund Pike getragen. Die verschiedenen Spannungskurven wie auch die emotionalen Schwankungen haben gerade sie wunderbar austarieren können. Ein Melodram voller Romantik, Leid und Triumph oder anders formuliert, ein Film für Herz und Hirn.

Heinz-Jürgen Rippert

 

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Die andere Seite der Hoffnung

Die andere Seite der Hoffnung – Pandora Film

Ob das wirklich der letzte Film von Aki Kaurismäki ist, wie er verkündet hat, bleibt abzuwarten. Zumindest bekommt man mit „Die andere Seite der Hoffnung“ einmal mehr einen typischen Kaurismäki. Flüchtlinge und Mitmenschlichkeit im Umgang mit Migranten hat er märchenhaft und voller Lakonie thematisiert. Wenig Worte und illustrative Bilder ergänzen sich zu einer ausdrucksstarken künstlichen Welt. Dafür gab es den Silbernen Bären für die beste Regie auf der diesjährigen Berlinale

OT: Toivon Tuolla Puolen

Finnland 2017

Buch + Regie: Aki Kaurismäki

Darsteller: Sherwan Haji, Sakari Kuosmane, Ilkka Koivula, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu, Kaija Pakarinen, Niroz Haji, Simon Hussein Al-Bazoon, Kati Outinen

Länge: 98 Minuten

Verleih: Pandora Film Verleih

Kinostart: 30. März 2017

Nach „Le Havre“ ist es der zweite Film des finnischen Regie-Altmeisters, der sich mit dem Schicksal von Geflüchteten auseinandersetzt. Er bleibt nach wie vor seiner Devise treu, Außenseitern ein Gesicht zu geben und in seinen Geschichten zu erzählen, wie schwierig es ist, einen Platz, mag er noch so klein sein, in der Gesellschaft zu finden. Mit seinen trocken melancholischen und lakonischen Dialogen und den wie abwesend agierenden Figuren schafft er einen ganz eigenen, mit der Realität bissigen Umgang.

Die andere Seite der Hoffnung – Pandora Film

Der Kaurismäkische Kosmos wird stets von der typischen Blau- und Braunfarbigkeit dominiert, die sein Stammkameramann Timo Salminen auf 35 mm gebannt hat. Alleine daran erkennt man einen zeitlosen Film des eigenwilligen Regisseurs. Und an der Musik, die den akustischen Rahmen, ob nun mit Rock ’n‘ Roll oder Tango, bildet. Von daher weiß man nach spätestens zehn Minuten, wer Regie geführt hat, Listen über den Stab braucht man eigentlich nicht. Genauso wenig wie über die Darsteller. Sakari Kuosmane, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu oder Kati Outinen gehören zum Stamm der eingesetzten Mimen. Längst vertraute Mienen für die Fans.

Die andere Seite der Hoffnung – Pandora Film

Nun also der Sprung von Le Havre zurück nach Finnland, einem Land, das ähnlich wie Resteuropa von Hass, bürokratischer Engstirnigkeit, Gewalt und Gleichgültigkeit heimgesucht wird. Kaurismäki widert das an, wie er bereitwillig bei Interviews äußerte. Zu sagen hat er immer etwas über die soziale Realität, die jeweils den Kern seiner Utopien befeuert.

Das Schicksal zweier Hauptfiguren bilden das Rückgrat seines neusten Werks. Versteckt unter Kohlen kommt der Syrer Khaled (Sherwan Haji) im Hafen von Helsinki an. Er ist auf der Flucht vor den Kriegswirren in Aleppo, hat aber unterwegs seine Schwester aus den Augen verloren. Er will Asyl beantragen, Hauptsache erstmal Frieden. Dann ist da der von der Midlife-Crisis betroffene Wikström (Sakari Kuosmane), der bisher als Vertreter für Oberhemden gearbeitet hat und nun ein Restaurant betreiben will. Seiner alkoholkranken Frau hat er den Ehering auf den Tisch gelegt. Sie reagiert mit einem weiteren Schluck aus der Wodkaflasche. Er sucht eine Pokerrunde auf und gewinnt – das Geld, das er für sein Restaurant braucht. Es heißt „Zum Goldenen Krug“. Khaled verliert. Sein Asyl-Antrag wird abgelehnt mit der Begründung, dass Syrien sicher sei. In den Büros der Polizei stehen im übrigen noch Schreibmaschinen auf den Tischen.

Im Hinterhof des Lokals, bei den Mülltonnen, treffen die beiden Flüchtlinge, Wikström ist natürlich auch einer – mit Hoffnung auf einen Neubeginn, aufeinander. Die Fäuste fliegen, jeder bekommt einen Haken. Dann sitzen sie drin am Tisch und Khaled bekommt einen Teller Suppe. Diese Details machen Kaurismäkis Filme aus. Minimalismus pur eben.

Wikström hat dagegen Pech beim Publikum mit seiner Speisekarte. Fleischklopse und Hering scheinen nicht mehr In zu sein. Also japanisch – Sushi läuft vielleicht besser. Im „Goldenen Krug“ erlebt die Belegschaft, bestehend aus altgedienten Darstellern, den Genuss von Solidarität. Und Khaled erhält auch einen kleinen Job.

Als Beispiele für die Absurditäten der Welt sei auf eine Nachrichtensendung im Fernsehen hingewiesen, mit einem Bericht über die tatsächlichen Brutalitäten in Syrien, sowie auf eine Begebenheit bei einer Kontrolle des Restaurants durch die Gesundheitsbehörde. Khaled wird mitsamt kleinem Hund des Besitzers in der Toilette eingeschlossen. Als er wieder befreit wird, verkündet der Syrer, er habe dem Tierchen inzwischen etwas Arabisch beigebracht. Daraufhin sei der Kleine zum Islam konvertiert, der Buddhismus ist wohl doch nicht das Richtige gewesen.

Heinz-Jürgen Rippert

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